Willkommen





"Ich habe Erzählungen geschrieben. Die Erzählung ist mir unentbehrlich, denn über sie gelange ich auf indirektem Wege zur Poesie . Ich suche die Poesie, genauer gesagt die Erschaffung von fiktiven Geschichten, die ich aus den tiefsten Gründen meiner Seele schöpfe. Diese fiktiven Leben, die ich mit Sorgfalt untersuche, erlauben es mir, die Seele selbst zu erkunden und zu erkennen, gleichsam in einer Art von Widerschein.

Damit nun aber diese Strahlen tatsächlich Gestalt annehmen können, damit sie beseelt werden, ist es wichtig, die Seele in Berührung mit jenen magnetisch-magischen Anziehungspunkten der Welt zu bringen, welche durch ihre bloße Ausstrahlung die inneren Kräfte in ungeheure Wallung versetzen: die Erde, die Tiere, der Wind, das Wasser, das Feuer, die Luft, einige bevorzugte sonderbare Wesen, die zwischen uns und dem Unbekannten vermitteln.

Das ist die Suche nach den Geheimnissen. Was aber lassen uns diese mannigfachen Geheimnisse vermuten? Doch nichts anderes, als daß alles zusammenhängt, daß alles sich spiegelt, daß alles miteinander in Verbindung steht, daß alles einen Sinn hat, und daß man, wenn man nicht an diese Einheit des Lebens glaubt, umherirrt; genauso wie das Leben und der Tod zwei Zweige eines einzigen Baumstammes sind, mündet schließlich alles in die Einheit des Seins, die ihrerseits mit dem Nicht-Sein verschmilzt. Diese Einheit des Seins ist rätselhaft in Gott selbst verborgen.

Jedweder poetische Mythos ist ein religiöser Mythos. Nach diesen Geheimnissen zu suchen, dabei die unsichtbaren Verbindungen aufzuspüren, die der Allgemeinheit verborgen sind, heißt, sich dem Ort zu nähern, den ich das irdische Paradies nenne."


Henri Bosco

Brief an Jean Steinmann, Pfingsten 1948. In: Jean Steinmann, Littérature d'hier et d'aujourd'hui, Desclée de Brouwer,1963.

(Deutsche Übersetzung von Eva-Sophie Wiedemann.)